KUNST

Von Arbon nach Oslo und Tiflis

In der Kunsthalle Arbon tut sich Erstaunliches. Nicht nur wird die frühere Industriehalle nächstens Loftwohnungen beherbergen, sondern sie verfügt bereits über zwei U-Bahn-Stationen. Das Ganze ist Teil der Ausstellung «Von kleinen und von grossen Häusern».
13.04.2018 | 05:18
Christina Genova

Christina Genova

christina.genova@tagblatt.ch

22 Meter ragen die Bauvisiere an der alten Fabrikhalle der Firma Schädler in die Höhe. Sie künden davon, dass dort, wo einst Karretten und Gartenmöbel hergestellt wurden, bald schon «kreative Loftwohnungen mit Seeblick» entstehen – an vielversprechender «Pionierlage». Nur eigenartig, dass die Winkel, die gewöhnlich das Volumen des geplanten Gebäudes markieren, gegen aussen gerichtet sind. So als würde es sich masslos in alle Himmelsrichtungen ausbreiten. Es ist ein Hinweis darauf, dass die Visiere kein weiteres Bauvorhaben für finanzkräftige Käufer anzeigen, sondern ein Kunstprojekt der beiden Berliner Simone Zaugg und Pfelder.

Wie bei grossen Bauprojekten üblich, ist vor der Schädlerhalle eine Infotafel platziert. Sie weist die beiden Künstler als Architekten und die Kunsthalle Arbon als Bauherrin aus. Die Inszenierung wirkt so überzeugend, dass einige Tage vor Ausstellungseröffnung gar das Bauamt der Stadt Arbon vor der Türe stand.

Ein Wald aus Bauvisieren

Betritt man die Kunsthalle, landet man in einem mit Teppich ausgelegten Immobilienbüro. Eine Hochglanzbroschüre liegt auf; darin werden die Loft-Eigentumswohnungen «in Arbons ­historischer und aufstrebender Mitte» angepriesen. Den Text haben Simone Zaugg und Pfelder praktisch eins zu eins aus der Broschüre einer Berliner Immobilienfirma übernommen. Das Phänomen, dass alte Fabriken um­genutzt und nicht selten zu Luxuswohnungen umgebaut werden, lässt sich weltweit beobachten und ist gerade in Arbon hochaktuell. In der ehemaligen Industriestadt wird rege gebaut. Für die schier unübersichtliche Bautätigkeit könnte der «Wald» an Visieren stehen, den Simone Zaugg und Pfelder im Erdgeschoss der Kunsthalle errichtet haben. Bauvisiere gibt es übrigens nur in der Schweiz.

Musterwohnung mit Seeblick

Im Zentrum des Wandels in Arbon stehen die Gebäude der Firma Saurer, die darin einst Lastwagen produzierte. So entstehen zum Beispiel im «Saurer-Werk 1» unfern der Kunsthalle zahlreiche Loftwohnungen. Sensibel und mit einem Augenzwinkern nehmen Simone Zaugg und Pfelder diese lokale Entwicklung in ihrer Ausstellung auf und stellen sie zur Diskussion. Sie haben für Recherchen und Aufbau einen ganzen Monat in Arbon verbracht. «Unsere Arbeit ist weder Kritik noch Verherrlichung», sagt Pfelder. Und Simone Zaugg ergänzt: «Wir schaffen Situationen, in denen Menschen ihren eigenen Blick erleben können.»

Die U-Bahn als Vorbote neuer Urbanität wurde vorsorglich schon bis zum Renditeobjekt gebaut. Die Linie U8 hält direkt unter der Kunsthalle. Man hat die Wahl zwischen den Haltestellen Arbon Nord und Arbon Süd, eine Broschüre mit dem Linienplan liegt auf. Die Linie führt von Oslo über Bern und Maloja bis nach Tiflis – alles Orte, wo Simone Zaugg und Pfelder Kunstprojekte realisierten. Dies erfährt man im Untergrund, wo eine Retrospektive ihrer Arbeiten zu sehen ist. Das Beste an der Ausstellung aber ist die Musterwohnung im oberen Stock der Halle. Bett, Tisch, Stühle, Lampen sind mit Liebe zum Detail aus Dachlatten gezimmert. Das Ganze wirkt wie eine Zeichnung im Raum. Lässt man den Blick aus den Fenstern schweifen, fällt er nicht etwa auf den Bodensee, sondern aufs Mittelmeer.

Hinweis

Bis 12. Mai. Kunsthalle Arbon, Grabenstrasse 6.

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